Die hohen Lohnabschlüsse der vergangenen Monate sollten eigentlich dafür sorgen, dass zum einen die Kauflaune steigt, zum anderen auch die Inflation. „Beides ist nicht der Fall“, sagt Mathias Beil, Leiter Private Banking bei der Hamburger Sutor Bank. „Die angekündigten Massenentlassungen sorgen für Kaufzurückhaltung, beenden aber auch die Lohn-Preis-Spirale, bevor sie sich richtig in Bewegung setzen kann.“
Die verfügbaren Einkommen stiegen 2023 in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr nach Zahlen des Statistischen Bundesamts um mehr als sechs Prozent. Auch die Reallöhne stiegen im 3. Quartal 2024 erneut gegenüber dem Vorjahreszeitraum, und damit das sechste Quartal in Folge. „Das erklärt die noch immer relativ hohe Inflation, wenn man den Dienstleistungssektor berücksichtigt“, sagt Mathias Beil. „Vor dem Hintergrund der deutlich zurückgegangenen Kerninflationsrate sollte sich angesichts der Lohnsteigerungen aber die Konsumlaune deutlich verbessern.“ Doch das Gegenteil ist der Fall: Zwar hat sich der Konsumklimaindex seit dem Tiefpunkt im Herbst 2022 von -43 auf nur noch -18,3 Punkte verbessert. „Die privaten Ausgaben stagnieren aber weiter“, so Beil. „Die Sparquote liegt im ersten Halbjahr 2024 bei stolzen 11,1 Prozent des verfügbaren Einkommens.“
Mehr Geld in der Tasche, aber keine Lust es auszugeben, lautet also die Diagnose. „Das ist auch kein Wunder angesichts der Nachrichten vom Arbeitsmarkt“, sagt Beil. „Großkonzerne wie VW und Thyssen Krupp korrigieren ihre strategischen Fehler der vergangenen Jahre durch harte Einschnitte.“ Die Einschnitte erfolgen zum ersten Mal seit langem auch durch Stellenabbau und Lohnkürzung, VW etwa zieht auch eine Verlagerung der Produktion des Vorzeigemodells Golf nach Mexiko in Erwägung. Gemäß einer aktuellen Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) planen 38 Prozent der Firmen in Deutschland einen Stellenabbau.
Deutsche Wirtschaft: weniger Aufträge, geplanter Stellenabbau
Dazu kommt, dass die deutsche Industrie insgesamt im Oktober nach einem zuvor ungewöhnlich starken Zuwachs wieder weniger Aufträge erhalten hat. „Die Bestellungen fielen um 1,5 Prozent niedriger aus“, sagt Beil. Und das kommt zusammen mit weiteren, jüngst gemeldeten Auftragseinbußen im deutschen Mittelstand. „Wie immer die Restrukturierung am Ende auch aussehen wird, Stellenabbau und Gehaltseinbußen sind sicher“, erklärt Beil. Arbeitnehmervertreter werden in dieser Situation kaum in der Lage sein, weitere Lohnerhöhungen auszuhandeln, der Druck auf die Inflation wird geringer. „Vor diesem Hintergrund ist die Lohn-Preisspirale beendet, bevor sie wirklich in Schwung kam“, sagt Beil.
Angesichts dieser Daten wird auch die geringere Inflation die Konsumfreude nicht anfachen. Und es gibt weitere belastende Themen: „In Deutschland wie in Frankreich sind die Regierungen gescheitert“, sagt Beil. „Für die nächsten Wochen oder Monate fallen somit Frankreich und Deutschland als politische und ökonomische Zugpferde in Europa aus.“ Dazu steht die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus an. „Das mag zwar in den USA ein Konjunkturfeuerwerk entfachen, in Europa und dem Rest der Welt kommt davon aber eher wenig an“, sagt Beil.
Dabei benötigt die Wirtschaft weltweit und speziell in Europa dringend Impulse. „Und die kommen von der Europäischen Zentralbank“, sagt Beil. „Auf der heutigen Sitzung nahm die EZB die Leitzinsen noch einmal zurück.“ Da die Fed dagegen für die USA keine Eile damit haben dürfte, dem zu folgen, könnte sich eine kleine Belebung in Europa zeigen. „Zusammen mit niedrigeren Personalkosten könnte das der europäischen Wirtschaft wieder zu mehr Wettbewerbsfähigkeit verhelfen – und damit den pessimistischen Ausblick wieder drehen“, sagt Beil.