Unternehmen müssen ihren Weg finden, um nicht den Anschluss bei der Nutzung von Intelligenz-Technologie zu verlieren
Die Veröffentlichung von ChatGPT war ein Urknall für das, was wir heute generative KI (künstliche Intelligenz) nennen. Die Sprachmodell-Technologie hat so schnell wie keine andere Innovation Nutzer angezogen, sie beginnt Arbeitswelt, privates und öffentliches Leben zu verändern. In der Studie „The economic potential of generative AI“ hat McKinsey unlängst analysiert, dass generative KI ein Potenzial von 2,6 bis 4,4 Bill. Dollar über sämtliche Branchen hinweg hat.
Banken würden – nach der Hightech-Industrie – zu den Hauptprofiteuren der generativen KI gehören und könnten ihre Gewinne um 2,8 bis 4,8% steigern. Die Bereiche mit dem größten KI-Impact im Banking sind Marketing & Sales, Customer Operations, Software Engineering sowie Risk und Legal. Die spannende Frage ist: Warum ist der Impact gerade auf den Bankensektor so groß?
Ideales Anwendungsfeld
Das Banking als „quantitatives“, in hohem Maß Wissens- und Technologiebasierendes Geschäft ist prädestiniert für den Einsatz von KI. Die Finanzwirtschaft gehört deshalb bereits zu den größten Anwendern von nicht-generativen KI-Lösungen wie Machine Learning oder intelligenter Optimierung. Darüber hinaus machen weitere Eigenschaften das Banking zum idealen Anwendungsfeld für generative KI.
Erstens gibt es viele Legacy-IT-Systeme, die modernisiert werden müssen. Dies lässt sich mit generativer KI enorm beschleunigen und optimieren.
Zweiter Aspekt ist der hohe Anteil von Mitarbeitern mit direktem Kundenkontakt. Intelligente Chatbots können Aufgaben von Menschen übernehmen und etwa als „Co-Piloten“ die Produktivität und die Qualität in der Kundenbetreuung steigern.
Drittens stellt die strenge Regulierung hohe Anforderungen an Recht, Compliance und Risikomanagement. Hier Kosten zu senken, Prozesse zu optimieren und dabei zu unterstützen, Compliance- Regeln zu definieren und einzuhalten, kann ein enormer Hebel für die Profitabilität von Banken sein.
Vierter Punkt ist der hohe Anteil an Wissensarbeitern, die durch generative KI besonders unterstützt werden. Jenseits von Front-Office und Compliance-Abteilung gibt es auch in den Backoffices zahlreiche Prozesse, die sich mit generativer KI optimieren lassen.
Neben den monetären Potenzialen hat der Einsatz von generativer KI weitere Vorteile. Die McKinsey-Studie nennt insbesondere höhere Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, bessere Entscheidungsfindung, besseres Risikomanagement sowie optimiertes Prozess-Monitoring zur Vermeidung von Betrug, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung.
Doch wie können Banken die Potenziale von generativer KI heben? Dabei ist zu beachten, dass der Druck nicht nur von diesen Potenzialen und auch Wettbewerbern ausgeht, die ihrerseits durch die Implementierung von generativer KI Wettbewerbsvorteile gewinnen können, sondern auch von den eigenen Mitarbeitern. Denn Mitarbeiter werden generative KI vermehrt nutzen, wenn sie merken, dass ChatGPT ihnen im Job helfen kann. Auch diese Nutzung muss durch eine Strategie kanalisiert werden.
Glücklicherweise bietet ChatGPT für das Experimentieren mit generativer KI eine Art sofort verfügbare Sandbox. In die Unternehmenswelt „übersetzt“ ist ChatGPT eine einfach und intuitiv bedienbare Nutzerschnittstelle, die es Fachabteilungen erlaubt, ohne Technikwissen und ohne aufwendige API-Integration (Application Programming Interface – kurz API) mit einer generativen KI in ihrer eigenen Sprache zu arbeiten. Die Fachabteilung kann damit einerseits die Arbeit mit diesen Werkzeugen erlernen – etwa wie man die Aufgabenformulierung, sprich „Prompts“, so verfasst, dass die KI die gewünschten Antworten gibt. Andererseits kann sie mit ihrem Prozesswissen austesten, wo der KI-Einsatz durch Prozessoptimierung oder die Entwicklung ganz neuer Prozesse wertschöpfend ist.
Grenzen für den Einsatz von ChatGPT als KI-Sandbox setzen allerdings Restriktionen hinsichtlich Informations- und Datensicherheit, die für regulierte Häuser in besonderem Maße gelten, sowie aufsichtsrechtliche Vorgaben, die bei der Nutzung von externen Software-as-a-Services zu beachten sind. Aber jenseits dieser Restriktionen ergibt sich ein weites, nicht kritisches Experimentierfeld.
Wenn die möglichen Einsatzfelder für generative KI identifiziert sind, können dafür auf der Basis des GPT-Sprachmodells oder von Spezialmodellen für Finanzunternehmen, wie sie Bloomberg zurzeit entwickelt, eigene feinjustierte Lösungen aufgesetzt werden. So ist es denkbar, dass eine Bank existierende Modelle mit internen Dokumenten wie Organisationshandbuch, Arbeitsanweisungen und Prozessbeschreibungen trainiert, um eine Grundlage für weitere bankeninterne Anwendungen zu schaffen.
Sechs Schritte
Standardstrategien für den Einsatz generativer KI für Finanzunternehmen gibt es nicht. Jedes Unternehmen muss seinen eigenen Weg finden, um nicht den Anschluss bei der Nutzung von Intelligenz- Technologie zu verlieren. ChatGPT kann einen Startpunkt für die Entwicklung einer individuellen KI-Strategie bieten. Exemplarisch können Banken und andere regulierte Unternehmen sich mit sechs Schritten in Richtung eines aufsichtsrechtlich konformen Einsatzes von KI bewegen:
Aufsetzen eines strategischen/operativen Frameworks für den potenziellen Einsatz generativer KI (Identifizierung von Einsatzfeldern, strategischer Impact des Einsatzes, Lokalisierung der Einsatzfelder in Fachabteilungen);
Klärung der Möglichkeiten aus den Perspektiven Informationssicherheit, Datenschutz und Aufsichtsrecht für den Einsatz von KI-Modellen von Dritt-Anbietern;
Vorstellung ChatGPT und Basistraining für den Umgang mit ChatGPT;
Formulierung der Aufgabenstellungen auf Fachabteilungsebene für den testweisen Umgang mit ChatGPT (Ziele, Testszenarien, Zeitraum, Auswertungs-/ Ergebnisreport);
Festlegen von Kriterien für eigene Finetuning-Projekte auf Basis der Testszenarien (Business Cases/ Wirksamkeit Cost-Income-Ratio, Prozessdurchlaufzeiten, Ressourcen- Effizienz etc.);
Start von Finetuning-Projekten (APIIntegration, Sammlung und Aufbereitung von Trainingsdaten).
Der Gastbeitrag wurde am 5.7.2023 in der Bören-Zeitung veröffentlicht.